Auf der anderen Seite der Sicherheit

„Minimalistisch, mit angelegtem Sog, sehr klar kommuniziert Gips ein fragiles Bildaufbauen. Schmale Texte, ein paar Kapitelzäsuren, eingestreute Collagen der Autorin vermitteln ein Gefühl vom Kartenlegen. Ein einziger Text, der letzte, geht über die Seite hinaus. Dann versandet es. Was bleibt? Möglicherweise das grundsätzlich mit Gips assoziierte, ein instabiles System aus Momenten“, schreibt Jonis Hartmann über den Gedichtband von Kathrin Bach.

Und weiter: „dass doch alles da ist lautet ein Abschnitt – dass aber das Gegenteil davon dräut, ist unausgesprochen in beinahe allen Versen zu spüren. Kippbildern nicht unähnlich, ziehen manche Gedichte in Peinigendes, andere lösen nur scheinbar etwas auf. Manche vergewissern sich einfach. Dabei steht Bachs Sprache jedoch auf der anderen Seite der Sicherheit. Gerade weil sich die Worte ihrer selbst, in ihrer Syntax, in ihren Bedeutungen sicher sind – von Alltagssprache, schwellenlos ‚halli hallo‚, bis Bilderreichtum – wirkt das aufgerufene Mehrdeutige verunsichernd. Das ‚feste wissen‘ befindet sich in einer Schleife.“ Der ganze Beitrag ist bei Textem nachzulesen.

Diasporische Formen

„Mit dem vorliegenden, aus dem Hebräischen [von Gundula Schiffer] mustergültig übertragenen Band Das kleine Boot in meiner Hand nenn ich Narbe hat Mati Shemoelof in fünf Abschnitten über die Geschichte seiner Familie geschrieben – und über die Gegenwart“, schreibt Nils Jensen im österriechischen Literaturmagazin Buchkultur (Nr. 212). „Im dritten Teil (…) schreibt er über die Zeit – auch über das Trauma – als Soldat im Militärdienst seines Landes, bis er schließlich den Dienst in den besetzten Gebieten verweiget. In Teil Vier ‚Babylon-Berlin‘ (…) geht es um die verschiedenen Sprachen, Hebräisch, Deutsch, Englisch, wodurch diasporische Formen gefunden werden.“

Die nächste Lesung von Mati Shemoelof findet übrigens am 25. April 2024 im Kulturraum Synagoge Lippstadt statt.

Zu den Naturwissenschaften, zur Mathematik

„Unschärfe, oder positiv formuliert, Vieldeutigkeit erzielt Ast in ihrer Lyrik auf formaler Ebene vor allem, indem sie Satzzeichen weglässt, durchgängig Kleinschreibung benutzt und häufig Satzbrüche verwendet. Die Zeilen sind manchmal in Blocksatz gesetzt, ein andermal unterschiedlich weit eingerückt, sodass sie an Computercode erinnern, mit Schrägstrichen inmitten der Zeilen als Pausen. Dazu Klammerungen, zum Teil als Einschübe, wobei sich einige offene Klammern vielleicht erst weit im nächsten Absatz schließen, andere gar nicht und manche geschlossenen Klammern haben sich nie geöffnet: Was zunächst sperrig anmutet, ist eine Aneignung, öffnet visuell wie inhaltlich die Poesie zu den vermeintlich prosaischen Naturwissenschaften, zur Mathematik hin. Es ist aber auch eine Öffnung des poetischen Raums selbst, eine Hinwendung dorthin, wo Form und Bedeutung von Sprache nicht schon be- und abgeschlossen sind, eine Zuwendung zu einem offenen Erfahrungshorizont. Vielleicht lässt sich ja deswegen, wie eingangs behauptet, in dieser Sprache kaum lügen, weil sie Möglichkeitsfelder und Erfahrungsräume entwirft, bei denen es vorrangig nicht um binäre Entscheidungen zwischen wahr und falsch geht“, schreibt Manfred Roth über vibrieren in dem wir von Ann Kathrin Ast in einem Beitrag auf literaturkritik.de, wo man ihn in ganzer Länge lesen kann.

Brotfische

„Sollte man langsam lesen. Und laut. Schon um herauszufinden, was die Brotfische bezeugen können. Wunderbare Spracherkundungen, schön illustriert mit Tuschezeichnungen von Simone Cayé“, schreibt Mladen Gladić über Polle und Fu von Karin Fellner in der Beilage Das sind die besten Bücher für den Frühling zur Leipziger Buchmesse in der WELT (25.3.24).

Empl und Podhostnik im ZDF

Die vielleicht absurdeste Resonanz der Buchmesse fanden Thomas Empl und Thomas Podhostnik in der heute-Sendung (vom 21.3.24). Ihre Lesung bei der Langen Leipziger Lesenacht in der Moritzbastei wurde gefilmt und fand Eingang in den Beitrag. Zu sehen sind sie in den letzten fünf Sekunden! Wer sie beide ausführlicher zusammen erleben möchte, kann das am kommenden Montag, 8. April, im Literaturklub Köln tun, dann lesen sie wieder aus Dear Mr. Saunders und Inneres Zittern.

Lyrikempfehlungen mit Ana Pepelnik

Auf der diesjährigen Lyrikempfehlungsliste der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung u.a. steht auch der Gedichtband nicht fisch von Ana Pepelnik in der Übersetzung aus dem Slowenischen von Amalija Maček, Matthias Göritz, Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik. Nico Bleutge schreibt dazu: „In einem dieser Gedichte sind die Häuser weiß und schweben. Aber die Sprecherin hat sich eine Mütze über Augen und Ohren gezogen. Ana Pepelnik schreibt Verse, die gecrashten Idyllen gleichen oder dem Lichtschimmer auf einem See voller Dämonen. In ihnen pulst die Sehnsucht nach einer ‚urgeschichte. als alles nur ein einziges / großes herzschlagen war‘. Doch so, wie die Suche nach Lebendigkeit und Euphorie hier immer schon von Schmerz durchschossen ist, hat der liedhafte Ton etwas Hypnotisches, das tranceartige Beruhigung genauso kennt wie Nervosität und Angst. Bei so viel Lust auf Paradoxien und Vielstimmigkeit ist es nur konsequent, dass sich gleich zwei Übersetzungsteams an die Arbeit gemacht haben, Amalija Maček und Matthias Göritz sowie Adrian Kasnitz und Thomas Podhostnik. In ihren Versionen wird erlebbar, wie genau Ana Pepelnik die semantischen Bezüge verschiebt oder auf die Energie einzelner Wörter setzt. Als könnte die Sprache die ganze Welt gebären: ‚magma lava / erdöl rosmarin sterne erdbeben lavendel sturzbach sintflut / erdrutsch salbei. geruch geschmack gespür gehör. die sicht.'“